Kein WM-Tagebuch

[image caption=“Beliebter Boulevard-Trick: Erst heucheln, dann meucheln“ image_link=“/wp-content/uploads/2014/06/thesun.gif“ float=“right“ style=“round“/]Meine 11. Weltmeisterschaft, die ich bewusst miterlebe (1970 war ich vielleicht für Bälle, aber noch nicht für Fußball empfänglich). Man könnte glatt meinen, ich hätte alles erlebt? Nö, habicknich. Zum Beispiel war ich bislang noch bei keinem WM-Spiel der Engländer in England. Bis letztes Wochenende. War allerdings anders, als man sich das gemeinhin vorstellt. Wobei der gemeine Engländer um diese Jahreszeit ohnehin eher in spanischen Touristengettos anzutreffen ist, als im Ukulele-Club der ukrainischen Community von Leicester. Von der biergeschwängerten Sorte war gerade mal einer da (abgesehen von uns, ähem). Der Rest war schwer zuzuordenen. Die Pleite gegen Iiihhh-talien wurde gleichmütig zur Kenntnis genommen, das Mutterland ist noch in der Findungsphase. Titelträume werden höchstens von der britischen Boulevardpresse formuliert, aber nur, um die Helden später umso gnadenloser fallen zu lassen (auch hierzulande ein beliebtes Manöver). Im Leicester Mercury (das is ne Zeitung, Ihr Internet-Affen) wurde vor dem Spiel eine Umfrage veröffentlicht. Nicht repräsentativ, nur ein paar Meinungen aus dem Volke. Aber auch hier traute im Grunde keiner der acht oder neun Befragten dem Weltmeister von 66 zu, wirklich etwas reißen zu können. Stattdessen wurde dreimal Germany genannt, zumindest als Mitfavorit. Ich wurde auch gefragt, allerdings privat. Meine Anwort habe ich britisch zu understaten versucht. „Nein, ich glaube nicht an der Titel. Da sind andere besser, stärker und überhaupt hat Europa noch nie in Südamerika usw.“ Es hat mir keiner abgenommen, fürchte ich. Dabei habe ich es ernst gemeint, fingers crossed!
Das war noch vor Portugal. Immer wieder erstaunlich, wie schnell sich der Wind drehen kann. Eben noch alles Katastrophe, im nächsten Moment kann uns niemand das Wasser reichen. Ghana schon mal gar nicht. Eigentlich muss nur noch Italien irgendwie scheitern, schon ist die Sache geritzt. Ich könnte jetzt wieder mit Bedenkenhuberei anfangen, lasse es aber, ist momentan einfach zu schön.
Nicht nur wegen erstem Hertha-Tor (Brooks), das ging auch gut runter. Überhaupt sind die Spiele äußerst unterhaltsam, wenn man nicht gerade in der prallen Sonne vier, fünf dicke Dinger kassiert. Überraschend ist auch, wie es die Fifa stets schafft, die ganzen störenden Nebengeräusche quasi mit dem ersten Anpfiff abzustellen. Fortan regiert nur noch der Frohsinn. Auf #InfoRadio gab es justamente einen Beitrag zum Thema Olympia in Berlin. Ein Fürsprecher vom NOK (oder eine ähnlich sportbegeisterte, nichtkommerzielle Instituion) argumentierte in seinem Pro-Beitrag, dass Olympische Spiele nicht nur (toitoitoi) mit schwarzen Zahlen enden (für wen eigentlich?), sondern obendrein gut für die Stimmung in der Stadt seien. Mit anderen Worten: Steht der Berliner im Medaillienregen, merkt er nicht, wenn ihm das Wasser bis zum Halse steht.
Ich will nicht miesepetern, aber etwas Essig im Wein muss auch mal sein. Ich habe auch schon Klagen vernommen, in hiesigen Kneipen sei verhältnismässig wenig los, weil die Spiele in Brasilien so spät anfangen. Das ist wirklich ein Problem, ich kann leider auch nicht jedes Spiel gucken. Als sogenannter Freier Mitarbeiter habe ich aber wenigstens das Recht, mir einfach mal freizunehmen, wenn es mir passt. Soweit es eben möglich ist, von nix kommt nun mal nix. Mein Vermieter würde es kaum akzeptieren, wenn ich ihm eröffne, dass er während der WM maximal die Hälfte an Unterhalt von mir kriegt, weil ich seine Bruchbude eh so selten nutze. Obwohl es einen Versuch Wert wäre.
Wo wir gerade dabei sind: Nächsten Dienstag kommt der Bundesliga-Spielplan raus. Das wird auch den Kölner Kumpel interessieren. Oder etwa nicht? Kollege Alaaf überraschte mich nämlich jüngst mit der Aussage, er sei gar nicht mehr soooo fußballbegeistert wie ehedem. Der bekanntermaßen unzerstörbare kölsche Optimismus schien ihm sogar gänzlich abhanden gekommen. Deutschland hat er gar ein vorschnelles Ende bei der WM prophezeit. Das macht Mut. Seine Prognosen sind bislang selten in Erfüllung gegangen.Видеорегистратор DOD LS330 купить в России