Berlin, nun freue dich

Nicht Angst vor Terror, höchstens lange Einlasszeiten und unangehme Witterung sorgten im Vorfeld des Hoffenheim-Spiels für kleinere Sorgenfältchen auf meiner Stirn. Erwiesen sich als unbegründet. Im Gegenteil, es ging sogar flotter als normalerweise, jedenfalls am Südtor, weil einfach mal mehr Fummel-Personal zum Abtasten am Start war. Wäre der Anlass kein so trauriger gewesen, würde ich glatt fordern: Bitte mehr davon, Hertha.
Wettermässig hatte ich immerhin vorgesorgt, es lebe die Lange-Unterhosen-Saison. Nur Handschuhe fehlten noch, viel kälter sollte es bis zur Winterpause nicht werden. Stehen immerhin noch zwei Heimspiele an, kaum zu glauben. Die 23 Punkte fühlen sich beinahe an wie Weihnachten. Und das vorm ersten Advent.

Kritische Beobachter fanden das Spiel eher mau, mir hats prima gefallen. Am großartigsten war natürlich das unfassbare Schneegestöber, beinahe künstlich anmutend, weil so perfekt inszeniert. Großes Lob auch an die Netzschlepper für ihre Pausenshow, aber das wird wohl eine Eintagsfliege bleiben, schade eigentlich.

Hertha immer noch auf Platz vier. Könnte man sich dran gewöhnen, wobei das auf Dauer auch langweilig wäre. Samstag nachm Bayernspiel isses vielleicht schon vorbei mit der Europapokal-Herrlichkeit. Ich tippe mal vorsichtig optimistisch auf eine dezente Niederlage, Nullzwo. Früher hätte man vielleicht von einem Unentschieden Träumen dürfen, als die Roten noch im Olympiastadion spielten und auch schon schwer aber nicht unschlagbar waren.
2005 war es, der letzte Punktgewinn in München, unser Tor schoss Marcelinho. Es muss Äonen her sein. Trainer war der schöne Falko, am Ende wurden wir – aber janz jenau – Vierter. Damals wars enttäuschend, weil wir mit einem Sieg am letzten Spieltag gegen Hannover Dritter gewesen wären, ergo Champions League, jedenfalls so gut wie. Reichlich Kohle, die Hertha so dringend nötig hatte. Nix wars.

Heute sind wir dagegen froh, nichts mit dem Abstieg zu tun zu haben, oder sieht das jemand anders? Europapokal wäre auch viel zu stressig, alle Nase lang Englische Woche, geht einem irgendwann auf den Keks. Die Saison 1999-2000 steckt mir noch in den Knochen. Mailand, Chelsea, Galatarasay, Nebel, Waldbühne, nahm gar kein Ende mehr. Zwischendurch in La Liga eine derbe Packung bei Unterhaching, dann wieder rauschende Feste. Das machen meine Nerven einfach nicht mehr mit.

Früher hätte Hertha so ein Spiel wie Sonntag gegen Hoffe verloren, mindestens aber nicht gewonnen, darin waren wir Altvorderen uns einig. Hatten sogar ein bissle Mitgefühl mit den Schwabmaten und deren Nullvierle gegen Augschburger. Konnten uns gut in deren Gefühlslage reinversetzen, weils uns vorkam wie weiland mit Hertha. So weit ist es gekommen.

War es wirklich so schlimm früher? Oder umgekehrt: Ist jetze plötzlich alles herthablauweiss? Natürlich nicht, wie der besonnene Tagesspiegel messerscharf erkannt hat. Die meinen nämlich: Hertha siegt – aber keiner kriegts mit. Der Schreiber vermisst – hört, hört – Euphorie in der Stadt. Hat sich sogar extra die Mühe gemacht, die Zuschauerzahlen der bereits absolvierten Heimspiele (Von Werder bis Hoffe) mit denen von letzter Saison zu vergleichen. Eine Heidenarbeit. Und siehe da: Es sind ingesamt unwesentlich weniger, nur bei HSV und Gladbach waren es ein paar mehr, allerdings waren das womöglich Gästefans, mutmaßt der findige Sportschöngeist. Ich finde es schön, dass wenigstens einer das Haar in der Suppe findet. Ich wollte vor lauter Glückseligkeit schon „Oh!“ und „Ach!“ stöhnen. Danke, Tagesspiegel, du nie rastender Mahner und Warner.

Wobei mich das schon auch gewundert hätte, wenn nach ein paar halbwegs ansehnlichen Spielen die Zuschauer plötzlich in Scharen ins heimelige Olympiastadion geströmt wären. Noch dazu an diesem nasskalten Terrornovembertotensonntag. Wo es doch so viele arschgemütliche Wärmestuben mit Livefussball und Vollbierbar in unserer geliebten Weltmetropole gibt.