Umsonst und draußen

Hertha MV habe ich mal wieder geschwänzt, aber im Herbst bin ich dabei, ziemlich fest versprochen! Nicht, dass ich das halbjährliche Stelldichein unserer blauweißen Herthafamilie sonderlich vermissen würde, aber ich will nicht unhöflich sein, wo man mir schon Monate im Voraus hochoffiziell eine Extraeinladung hat zukommen lassen. Grund ist meine bevorstehende 25-Jährige Mitgliedschaft, täterätäääää!! Ich kanns selbst kaum glauben, dass ich es so lange bei dem Haufen ausgehalten habe, aber wie heißt es so schön: Blut ist dicker als Wasser, ha ha ha.
Der letzte Spieltag war mal wieder herrlich, hat alles gestimmt, bis aufs Ergebnis. Aber das hat uns Frohnaturen nicht sonderlich gejuckt, der Drops war ja eh schon sauber rundgelutscht. Unterm Strich bleibt Platz zehn und die Erkenntnis, dass, wenn Hämburch und Kölle die gegen uns verlorenen Punkte mit in Liga zwo genommen hätten, wir ähnlich blöd dagestanden hätten, wie besagter HoEsVau. Das sind natürlich Milchmädchenrechnungen, ich weiß schon, aber es fehlen ja zusätzlich auch noch ein paar kölsche und nordlichternde Zuschauer nächstes Jahr. Düdorf und Nürnberch wiegen die beiden Abgänge nicht wirklich auf, fürchte ich.
Womöglich hat sich Hertha deshalb durchgerungen, Menschen bis 14 Jahre künftig freien Eintritt zu gewähren. Eine Idee, auf die man auch ein paar Jahre früher hätte kommen können, aber besser zu spät, nicht wahr. Wie das mit dem Gratiseintritt genau funktionieren soll, wurde noch nicht kommuniziert, nicht mal per Twitter oder Instagram, ich habe nachgeschaut.
Einfach Ausweis zeigen und dann munter hereinspaziert, so wird es wohl eher nicht laufen, sonst pflanzen sich die Jungspunde womöglich einfach dort hin, wo es ihnen gerade gefällt. Das wäre ein ulkiges soziales Experiment, aber ganz sicher nicht im Sinne des personalisierten Sitzplatz-Dogmas. Mir fallen spontan zwei Möglichkeiten ein: Entweder, man gibt die ohnehin meistens gesperrten Oberringkurven auf der Westseite (schräg gegenüber dem Gästeblock) exklusiv fürs Gratispublikum frei. Oder das Jungvolk muss sich vorher quasi akkreditieren, also im Vorfeld auf die Geschäftsstelle bzw. in einen Fanshop latschen, um sich dort gegen Altersnachweis eine Freikarte aushändigen zu lassen. Die würde dann wahrscheinlich ebenfalls für die angesprochenen Blöcke gelten. Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, dass Hertha seine gute Stube (also Ehren- und ähnliche Tribünen) mal eben für nervende Teenagerhorden freigibt. Eine weitere Möglichkeit könnte darin bestehen, Herthas Digitalisten lassen sich eine ganz raffinierte Online-Methode einfallen, mit der freie Plätze per Zufallsprinzip verlost werden, per App mit allem Pipapo. Wahnsinn.
Je mehr ich drüber nachdenke, desto mehr Fallstricke ergeben sich. Was ist zum Beispiel, wenn ich mit Sohnemann (kommende Saison 11 bzw. 12 Jahre) ins Stadion pilgern will und neben mir ist nirgendwo ein Platz frei? Der kommt bestimmt nicht mit, wenn ich ihm sage, Junge, geh du mal schön zu den anderen Billigheimern in Block XY, wir treffen uns dann nach dem Spiel an der Olympiaglocke. Wie man es dreht und wendet, es bleibt spannend. Find ick jut.
Sportlich betrachtet mach ich mir dagegen weniger Illusionen. Früher habe ich insgeheim immer mit der Meisterschaft geliebäugelt, jetzt, wo mir das keiner mehr abnimmt, kann ich es ja zugeben. Aber wenn sogar die fast frisch aufgestiegenen Schwabmaten ein Heidengeld in ihren Kader pumpen können, dann frag ich mich, was eigentlich bei uns schief läuft. Wahrscheinlich wieder eine Verschwörung, davon gibts mehr, als man glauben kann. Apropos: Ich habe die Vermutung, dass Hertha diesmal die Lizenz nur deshalb ohne Auflagen und/oder Bedingungen erhalten hat, weil die Herren von der DFL sonst umständlich hätten erklären müssen, warum der frisch ausgestorbene Elb-Dino mit seinen Abermillionen Schulden in punkto Spielerlaubniserteilung ebenfalls gänzlich unangetastet bleibt. Verdammte Fußballmafia.
Letztes Wort zum künftigen Stadion. Wenn es denn hinhaut und schlussendlich zum angepeilten Termin fertig werden sollte, würde ich auf fast sechzig Jahre Herthafansein zurückblicken. Stand heute könnte ich mir eine Dauerkarte vermutlich abschminken, es sei denn, die Honorare für freischaffende Dichter und Denker werden bis dahin signifikant erhöht. Oder Hertha gewährt ab 2025 Mitgliedern mit nachgewiesenermaßen mehr als dreißigjähriger Leidensfähigkeit freien Eintritt. Vielleicht gibt es bis dahin ja auch kostengünstiges Public Viewing im alten Olympiastadion, das hätte wiederum einen gewissen Charme.