Test the West

Der Suggestivkraft unseres Präsidenten sind dann doch engere Grenzen gesetzt, als erwartet. Weil der VVK herthatypisch eher schleppend verlief, rief Boss Bernstein vorm Bayer-Kick die notorischen Stadiongeher auf, Verwandte und Bekannte, Nachbarn und Neutrale bei der Ehre zu packen, ins Olympi zu schleifen, um der Alten eine schöne Kulisse zu verschaffen. Nett gemeint und auch keine schlechte Idee, aber so einfach lässt sich der gemeine Berliner dann doch nicht bitten.

Aller guten Dinge: Dauerkarten-Klappsitz im Olympi

Ich zum Beispiel wäre dem Aufruf des Ex-Ultrachefs nur zu gerne gefolgt, allerdings stellte mich sein Ansinnen vor eine verzwickte Situation: Rund um meinen Mietklappsitz in Block P ist alles an DK-Inhaber vertickt. Ich hätte also meinem Vorderhaus-Nachbarn, der zwar durchaus Hertha-affin ist, aber die Spiele lieber gemütlich bei Bierchen und Kippchen inner Kneipe kiekt, nach erfolgreicher Begeisterungsrede mitteilen müssen, dass er A: nicht nur sein Ticket selber kaufen muss, sondern auch B: nicht in meiner stets angenehmen Gesellschaft sitzen darf, sondern irgendwo neben möglicherweise obskuren Gestalten.

Ob sich dieser Zeitgenosse zu einem Stadionbesuch überreden lässt?

Nicht zuletzt die ungewisse Aussicht hätte meiner Überzeugungsarbeit ein wenig den Boden entzogen, um nicht zu sagen, mein Nachbar hätte mich mitleidig aber entschieden abgewimmelt. Dabei ist die Idee grundsätzlich gut, wie gesagt, es fehlt allerdings der entscheidende Anreiz, auch müsste ein wenig an den Umsetzungsmöglichkeiten gefeilt werden. Genug Platz sollte jedenfalls vorhanden sein, gegen die Chemiker waren es ungefähr 30.000 Plätze, wenn ich mich nicht verrechnet habe.

Ostkurve mit Gegenschuss

Wobei die Stimmung auch mit den offiziellen Vierzigtausend prächtig war. Nach Abpfiff kamen unsere wackeren Helden sogar etwas bereitwilliger als beim letzten Mal zum obligatorischen Kurven-Halali, wenn auch nach wie vor eine gewisse Skepsis spürbar ist. So ganz trauen Herthas Topangestellte der neuen, sanften Ultra-Welle noch nicht über den Weg. Man darf gespannt sein. Bei aller Freude über den sichtbaren Leistungsfortschritt, am Ende zählen nur nackte Ergebnisse. Sollte Hertha weiterhin eher mickrige Erträge einfahren, könnte der demonstrativ zur Schau gestellte Langmut der Schwarzkittel-Fraktion schneller aufgebraucht sein, als der VAR für seine Zeitlupenanalyse braucht.

Noch was fiel mir auf: Ich weiß nicht, wer Herthas Stadion-Conferencier berät, aber wenn ich entsprechenden Einfluss hätte, würde ich gerne eine ketzerische Frage aufwerfen: Ist die Zeile des Einpeitschertextes: „Macht Euch bereit für Berlins Fußballteam Nummer eins …“ angesichts der sportlichen Kräfteverhältnisse in der ehemaligen DDR-Hauptstadt noch angebracht?

Hochpolitisch: Chemie-Ultras mit Lauterbach-Konterfei auf dem Banner

Schaden wir mit solch arroganter Selbstüberhöhung nicht der Glaubwürdigkeit unserer Demuts-Offensive? Mein Verbesserungsvorschlag wäre schlicht aber ergreifend, der neue, verbesserte Text müsste lauten: „Macht Euch bereit für Westberlins Fußballteam Nummer eins!“ Vorgetragen mit einem hörbaren Augenzwinkern, selbstverständlich. Wer dafür ist, bitte beim nächsten Heimspiel einfach die Vorsilbe „West-“ an der entscheidenden Stelle laut vernehmlich ins Stadionrund brüllen. Wäre doch gelacht, wenn wir damit nicht ein paar Traditionalisten zusätzlich ins Stadion locken.