Mottenkiste mit Jeföhl

So Kollegen, ist mal wieder Zeit für einen Rückblick. Ihr wart ja alle in Bilbao dabei, was soll ich da noch groß erzählen. Und das Ding in Kölle haben alle via TV, Radio oder Live-Stream mitgeschnitten, das ist sowas von durch. Nee, Moment, da is noch was. Nämlich: Ich habe mich dabei erwischt, wie mir der Gegner Leid tat. Die Kölschen, echt wahr. Warum? Weil ich an unsereiner denken musste, die fatale Saison 2009/10. Nach Fast-Meisterschaft der tiiieeefe Sturz ….. Sechs Punkte nach der Hinrunde!!!!!! Unfassbar, oder?! Und trotzdem erst nach dem 33. Spieltag abgestiegen. Aber hallo! Es gibt also noch Hoffnung für die Zwei-Punkte-Böcke, irgendwie würde ich es ihnen gönnen, verdammt nochmal. Und bei Tasmania drücken ihnen sowieso alle die Daumen, weil die so stolz auf ihre Negativ-Rekorde sind. Nu is wieder einer weg.
Aber genug über Aktualitäten gefaselt. Hier kommen zwei Texte aus der guten, alten HerthaUnserZeit. Quasi als Vorab-Präsent zur bevorstehenden Weihnachtsfeier (kommenden Freitag, Adalbertstr. 23, ab 18 Uhr. Bei Unpünktlichkeit gibts die Rute).
Nochmal zur Einführung: Beide Texte stammen aus der legendären (Horror-)Saison 2009/2010. Der erste datiert von vor dem Heimspiel gegen Köln am 8. November 2009 (ging 0:1 verloren), der zwote ist von Anfang Mai 2010, nach dem Abstieg in Leverkusen. Jawoll meine (Kölner) Herren, trotz sechs Punkten nach der Hinrunde waren wir erst kurz vor Ultimo weg vom Fenster. Aber damit genug schwadroniert, heben wir den Vorhang für eine kleine aber feine Lektion nach dem Motto: Absteigen, aber mit Würde.

November 2009: Nach Heerenveen, vor Kölle daheim

Euro-League habe ich innerlich abgehakt, da geht’s mir nicht anders als Friedhelm & Friends. Alles, was momentan zählt, ist der Sonntag gegen Kölle. Mein persönliches Spiel des Jahres sowieso, wegen Kumpel K., der natürlich extra anreist, bzw. seinen Dienstplan diesbezüglich ausgerichtet hat, um Poldi und die Dompfaffen zu unterstützen. Für uns isses wohl die letzte Chance, noch mal ernsthaft in den Kampf ums Überleben eingreifen zu können. Sollte das Ding auch in die Hose gehen, dann reiche ich offiziell bei der DFL den Antrag ein, die Saison noch mal ganz von vorne zu starten.
Hatte letztens ja schon von den Leiden eines Herthaners in Zeiten sportlicher Tristesse schwadroniert, promptens musste ich wieder durch ein peinvolles Fegefeuer. Mitwirkende waren mein Schwager und Stiefvater. Der Schwager war in den letzten beiden Jahren hin und wieder sogar im Stadion, aber weniger aus Leidenschaft, denn aus Mangel an anderweitiger Zerstreuung. Von Fußball hat er nicht wirklich Ahnung, aber wenn wir uns über den Weg laufen, fängt er immer wieder davon an. Es gibt wohl nichts Schlimmeres, als mit jemandem über Fußball reden zu müssen, der bestenfalls über oberflächliches Halbwissen verfügt. Ich versuche jedes Mal, dieser impertinenten Penetranz auszuweichen, indem ich ein paar Standard-Floskeln vor mich hin nuschele und einfach das Thema wechsle. Dass der Gatte meiner kleinen Schwester obendrein den Verständnisvollen rauskehrt, macht die Sache nicht besser, im Gegenteil. Wenn er wenigstens ordentlich frotzeln und auf Hertha herumhacken würde, damit könnte ich noch leben.
Aber wie soll das gehen? Er hat ja nicht mal einen eigenen Verein. So einer ist das nämlich! Irgendjemand hat ihn mal in meiner Gegenwart gefragt, ob er Hertha-Fan sei. Daraufhin meinte er lapidar, na ja, da er nun mal in Berlin lebe (ursprünglich kommt er aus Hessen oder so), drücke er halt Hertha die Daumen. Ich hoffe nur, er ist sich nicht darüber im Klaren, wie sehr er sich damit selbst disqualifiziert hat.
Im Grunde gehört er zu jener Gattung Mensch, die sich nur deshalb für Fußball interessiert, um hin und wieder ein belangloses Wörtchen in die Runde schmeißen zu dürfen. Wenn Hertha absteigen würde, hätte das für ihn in etwa die Bedeutung, als wenn Guido Westerwelle an Schweinegrippe erkrankt. Kein gelungener Vergleich, ich weiß, aber ein lustigerer fällt mir gerade nicht ein.
Bis jetzt konnte ich immerhin einem gemeinsamen Stadionbesuch aus dem Wege gehen. Dafür geht er ab und zu mit dem Freund meiner älteren Schwester, also auch eine Art Schwager. Der kommt aus Flensburg und ist nu wieder ein ganz anderes Kaliber. Der interessiert sich wirklich für Fußball, ist aber permanent am rummäkeln. Momentan natürlich kein Wunder, aber selbst letzte Saison, als es prächtig lief, fand er immer ein Haar in der Suppe. Das kann auch nerven. Wenigstens ist er einem ordentlichen Schluck aus der Pulle nicht abgeneigt, im Gegensatz zu dem Laber-Schwager. Einmal habe ich ihn bei Hanne am Zoo getroffen, da war er nach einem Spiel eingekehrt um mit einem alten Kumpel noch einen zu heben.
Aber Schwager beiseite, ich wollte ja noch auf den Stiefvater kommen. Ich dachte immer, der sei einigermaßen informiert in Sachen Fußball, wenn auch nicht übermäßig, aber Pustekuchen. Sein totales Unwissen hat er zu meinem Erschrecken jüngst offenbart. Meinte er doch glatt, er hätte ausgerechnet, wenn Hertha noch zweimal verliert, sei der Abstieg besiegelt. Ich dachte, mich trifft der Schlag! Der Mann hat schließlich Volkswirtschaft und noch irgendwas Ähnliches studiert, sollte also über fundierte mathematische Kenntnisse verfügen. Als er den Ausdruck völliger Fassungslosigkeit in meinen Augen erblickte, schob er hinterher: „Wie? Bis Mai müssen doch insgesamt 17 Spiele absolviert werden, oder nicht?!“ Jesses, ich dachte, ich fall vom guten Glauben ab. Und mit so was muss sich unser einer tagtäglich rumärgern – Hertha, mach endlich was!
Immerhin: Seinen unverzeihlichen Lapsus hat er auszubügeln versucht, indem er ohne Zögern bereit war, 100 Euro auf einen Sieg von Hertha gegen Köln zu wetten. Dass er mich gebeten hat, den Einsatz für ihn auszulegen, hat mich dann wiederum stutzig gemacht. Bis jetzt konnte ich mich noch nicht dazu durchringen. Ich hoffe nur inständig, dass ich mich am Sonntagabend darüber klammheimlich ärgern kann.

Anfang Mai 2010: Finale furioso in Leverkusen/Kölle

Ich hatte gehofft, wir machen es noch einmal spannend für den letzten Spieltag 2009/2010. Es hat ja auch nicht viel gefehlt, aber es hat halt auch nicht sollen sein. Selten einmal hat diese abgewichste Floskel so gut gepasst, wie in dieser verwunschenen Saison. Nein, der Fußball-Gott hat wohl etwas anderes, größeres mit uns vor. Daran denkt man in jenem Augenblick, in dem die Tragödie ihren Höhepunkt erreicht, natürlich nicht. Dazu war die Gegenwart dann doch zu niederdrückend.
 
Ich war zum ersten Mal in Leverkusen und ich muss gestehen, ich kann mir schlechtere Orte denken, um abzusteigen. Vor allem, weil Leverkusen so nah bei Köln liegt; da, wo der Klüngel herkommt. Bei einem sattsam bekannten Klüngelanten hatten wir Quartier bezogen, um der alten Dame das vorletzte Geleit zu gewähren. Was für ein Kontrast: Letzte Saison waren wir ebenfalls dort, um einen Hertha-Sieg zu feiern, der alle Hoffnungen auf grandiose Zeiten in sich barg. Und nun das!
Unser honoriger Gastgeber, mein oft besungener Kölner Kumpel und FC-Fan, hat seinem Ruf als tadelloser Gastgeber mal wieder alle Ehre bereitet, auch wenn er es sich nicht verkneifen konnte, beständig in der Abstiegswunde zu bohren. Es sei ihm verziehen, er glaubt ja nur, dass er alles hinter sich hätte.
 
Nun zu unserem Drama, stenomäßig, in aller Kürze. Ich zähle nicht jedes einzelne Kölsch auf, aber wir haben es uns trotz allem gut gehen lassen.
 
Freitag Anreise, voller Hoffnung bzw. in angespannter Erwartung. Nach einem Kneipentingeltangel rund um Barbarossas Platz ins Blue Shell, wie im letzten Jahr. Sogar dieselbe Combo spielt auf, Murmeltier lässt grüßen. Ich kann nicht mehr, begebe mich zeitig ins Körbchen. Der Rest folgt seinen diversen Trieben.
Köln, 1. Mai, am Vormittag. Die Kollegen noch alle am pennen, geh’ ich mal Brötchen holen. Draußen richtig warm, gar nicht so, wie im Wetterbericht angedroht. Zum Frühstück Rührei und, na klar, Kölsch geräuchert. Der Kölner Kumpel weist uns den Weg: „Zum Hauptbahnhof, dann mit der Regionalbahn nach Leverkusen.“ Das sollte machbar sein. Er selbst geht zum FC, die haben Freiburg zu Gast. Sein Treffpunkt heißt Stadionkneipe Doping – dazu später mehr.
Am Bahnhof lungern die ersten Herthaner, Leverkusener, Kölner, Freiburger herum. Unser Zug bunt gemischt, blau-weiß und rot-schwarz. Sogar Erste Klasse, mit Raucherlounge und Feuchtsitz. Nicht jedermanns Sache, aber so ist Fußball eben auch. Nach einer halben Stunde Fahrtzeit erreichen wir Leverkusen. Rechte Hand könnte das Chemiewerk sein, links ein Park, durch den wir in langen Kolonnen zum Kampfplatz zuckeln. Ab und an verschwindet jemand im Unterholz, um sich zu erleichtern. Alles sehr idyllisch, wie gesagt, anderswo wäre absteigen unschöner.
Dann das Stadion, die BayArena. Genug Platz, reichlich Geld, dann kann man sich so ein Teil locker hinstellen. Nur Bier muss man suchen. Wir finden es irgendwann und hocken uns an einen lieblichen Hang, unten blubbert ein Flüsschen, am Ufer wuchert üppiges Grün, neben uns hat sich der OFC Hertha-Hippies ins Gras gepflanzt. Tach und Hallöchen allerseits.
Kurz nach 15 Uhr, nun aber los. Ins Stadion kein Problem, drinnen muss nur eine Verzehr-Card (5 Euro Pfand) organisiert werden. Lohnt sich kaum, die Plörre schmeckt wie Tante Käthes gesammelte Spuckereste. Drinnen empfängt uns das Stadion mit Chemiegiganten-Schick, der Hertha-Block ist prall gefüllt – olè!
Als Raffael trifft, kennt der Jubel keine Grenzen. Bremens Tore sorgen für Heiterkeit, die von Bayern ebenfalls. Hannovers Sturmlauf verwundert, Nürnbergs Klatsche ebenfalls. Soweit alles im Lot. Ernüchterung, als der andere Friedrich trifft. Drobny rettet mehrmals spektakulär, Gekas & Co. versieben sämtliche Riesen. Am bittersten, als Ramos in letzter Sekunde durchmarschiert, seinen Querpass aber keiner verwerten mag. Abpfiff.
Heulende Herthaner, muss an meinen ersten erlittenen Abstieg denken. Wir versuchen uns mit müden Scherzen aufzurichten. Der Tross der Loser quält sich durch den Park Richtung Bahnhof zurück. Die Leverkusener haben auch nichts zu feiern, sind mal wieder auf den letzten Metern gestrauchelt. Plötzlich kommt Bewegung rein, ein paar Herthaner halten die behelmten Einsatzkräfte auf Trab. Interessiert nicht wirklich.
Zurück in Kölle erstmal inne Kneipe. Endlich wieder richtiges Kölsch. Wir stellen erfreut fest: es perlt! Ja, perlen muss es, dann ist es gut. Nach üppiger Verköstigung und reichlich Perlung ins Quartier, ausruhen für den abendlichen Abtörn.
Der Kölsche ruft an, offenbar mit schwerer Schlagseite: „Wo seid ihr?“ „Bei Dir!“ „Ich komme dann mal.“ Halbe Stunde später klingelt’s wieder: „Wo seid Ihr denn?“ „Na, immer noch bei Dir!“ „Dann komme ich mal.“ Zwanzig Minuten später, wieder bimmeln: „Besser, ihr kommt zum Barabarossa Platz.!“ Wir hin, aber dort kein bekanntes Gesicht. Anruf: „Also, wir sind jetzt am Barbarossa Platz.“ „Wooo sseit ihr???!!! Ich dachte, wir treffen uns bei mir zuhause. Ihr Arschlöcher!!“
Wir haben uns dann doch noch getroffen. Im Tsunami-Club. Fünf Bands für zehn Euro, oder so. Während der dritten Band kommt es zum Eklat, weil unser besoffener FC-Kollege des Tsunami verwiesen wird. Es gab da wohl einige Beschwerden. Wie?? Kann gar nicht sein!
Tag der Abreise. Nüchtern wird auch dem letzten klar: das war’s erstmal. Also schnell ins Früh, mit Kölsch tut’s nur halb so weh. Im Zug ist Schluss mit feuchtfröhlich, es gibt keinen Mitropa an Bord. Wir skandieren: „UND IHR WOLLT UNSER SPONSOR SEIN!“