Marsmission

Als ich den Spielplan vor Saisonbeginn zum ersten Mal studierte, hatte ich für den 33. Spieltag mit mehr Brisanz gerechnet. Kölle, der alte Rivale und Mitabsteiger, das kann was werden! Am Ende wurde es eine extrem entspannte Auswärtsfahrt, Gott Luhukay und Andi K. sei Dank. Ich bin mir sicher, die Mannschaft hat die neunzig Minuten lockerer weggesteckt, als unsereiner das Begleitprogramm: nonstop Schlotroochen und Stangenbierschlürfen. Wer jetzt ein minutiöses Protokoll erwartet, den muss ich enttäuschen. Es gäbe wahrscheinlich einiges Berichtenswerte, wenn mir denn sämtliche Begebenheiten erinnerlich wären. Aber selbst wenn dem so wäre, behaupte ich einfach mal: Das meiste wären eh Insiderwitze und die sind für Daheimgebliebene entweder nicht nachvollziehbar oder null verständlich, was in etwa aufs gleiche hinausläuft. Oder findet es dort draußen in der realen Welt irgendjemand interessant, das Gesülze von sechs bis sieben Altherrentrinkern auf anderthalb Quadratmetern Dachgeschossfläche ordnungsgemäß zu protokollieren? Falls ja, bitte eine formvollendete Bewerbung an die bekannten Adressaten richten und ein wenig Geduld – erstmal ist nämlich Sommerpause, jedenfalls fast.

Ich hatte schon erwähnt, dass mir das ganze Rekordgedudel ziemlich Teewurst ist, aber ganz so ist es natürlich doch nicht. Achtundsiebzig Punkte wären schon eine echte Hausmarke, daran wird man sich wahrscheinlich noch erinnern, wenn eines Tages die nächste Mauer gebaut wird. Cottbus gilt zwar als Angstgegner, zumindest heimwärts, aber mit unserm niederländischen Genius an der Seitenlinie sollten solche defätistischen Gedankenspiele eigentlich der Vergangenheit angehören. Ich hoffe, ich muss mich nächste Woche nicht korrigieren, das wäre mir unangenehm. Obwohl ich das subjektive Gefühl habe, angesichts von Niederlagen und anderen Katastrophenszenarien zu besonderer Höchstform aufzulaufen. Diese neue Siegergen-Hertha, die nicht nur gewinnt, wenn es um gar nix mehr geht, sondern selbst dann noch, wenn alles oder nix auf dem Spiel steht, ist mir noch nicht in Fleisch und Blut übergegangen. Die neue Souveränität, daran muss ich mich erst noch gewöhnen.

Und ich bin wahrlich nicht der einzige. Als ich das leidige Dauerkartenthema aufs Tableau gebracht habe, war von Begeisterung keine Spur. Erst nach wiederholtem Nachfragen quollen mir ein paar gelangweilte Grunzer entgegen, die ich in kühler Kaufmannsmanier einfach mal als Zustimmung gewertet habe. Gut möglich, dass es für einige ein böses Erwachen gibt, wenn ich ihnen in drei bis vier Wochen die Rechnung präsentiere. Ist natürlich alles in Herthas Sinne, da gibt es kein Vertun.

Ich weiß, der Leser erwartet jetzt noch ein paar Infos aus Köln am Rhein, aber es gibt wirklich nicht viel zu erzählen. Wir waren beim Fußball, soviel weiß ich noch, sogar zweimal. Das Kölner Derby Fortuna gegen Viktoria zum Beispiel, vierte Liga. Der Präsident, mein werter Amtskollege, hat sich im Hintergrundgespräch als FC-Fan geouted. Sein Wahlvolk hat er fest im Griff, das konnte man gut beobachten. Aufs Kommando wurde laut gejubelt, das hatte Schneid, dafür meinen Respekt. Daran muss ich noch arbeiten. Die Kollegen von Hertha UK waren auch vor Ort, mit dem Auto in sechseinhalb Stunden von London nach Cologne, Hut ab! Einen schönen Friedhof hat es auch in Köln, auf einem liegt die Familie Reiss. Alte Kölner Brauertradition. Wir haben auf ihr Wohl getrunken, auf jedes Familienmitglied, mehrmals. Es ist eine Großfamilie, das nur nebenbei. Ach ja, der Flug, wir sind ja das erste Mal überhaupt zu einem Auswärtsspiel geflogen. Sehr angenehm, aber auch nicht unbedingt ein Muss. Der Flieger geht hoch, dann wieder runter. Wenn man sein Gepäck abgibt, muss man etwas länger warten. Die Strecke dauert eine Büchsenlänge Bier, wenn man auf dem Rückflug ist und am nächsten Tag arbeiten muss. Wir wollen das unbedingt wiederholen, war einhelliger Tenor kurz vor Schluss. Aber wir sind froh, dass es bis dahin noch ein Weilchen hin ist.

Bevor ich es vergesse: Eins habe ich leider vergessen in Köln, nämlich unserm werten Gastgeber ein Ständchen zu singen. Als Dankeschön, quasi, und weil er so ein Musikus ist. Nicht alleine, sondern mit der ganzen Bande, habe aber in der Hektik nicht mehr dran gedacht. Text und Melodie sind geklaut, ein bisschen habe ich es umgedichtet. Ich schreibs hier mal auf (ohne Noten), fürs nächste Mal zum Vormerken: „Wir zahlen keine Miete mehr, wir sind beim Andi zu Haus. Wenn unser Nest noch kleiner wär‘, es macht uns wirklich nichts aus. Ein Meter fünfzig im Quadrat, wir ham‘ ja wenig Gepäck – und wenn’s hinten noch ein Gärtchen hat, für Spinat und Kopfsalat, dann ziehn wir nie wieder weg (letzte Zeilen nach Gedankenstrich werden wiederholt. Beim nächsten Mal muss der Text sitzen, Melodie liefere ich nach. Prost, Jungs!)продвижение по нч