Kurve noch gekriegt

Nach dem Hinspiel war ich kurzzeitig nicht restlos überzeugt, ob es die beste Entscheidung war, frühzeitig Karten fürs Rückspiel im Bahrenfelder Volkspark geordert zu haben. Andererseits wird so ein Fußballausflug zwar am Fußball aufgehangen, wesentlicher ist aber das ganze Drumherum: Anreise, Warmtrinken. Stadionan- und abmarsch, Ringelpiez aufm Kiez usw. Spätestens, als wir auf der Autobahn und bei verschiedenen Pinkel- und Rauchpausen auf weitere Schlachtenbummler trafen, die meisten mehr oder weniger auf schlimmstmögliche Szenarien eingestellt, da kam dann doch so etwas wie Vorfreude aufs scheinbar Unvermeidliche auf. Tausendfach geteiltes Leid würde leichter zu ertragen sein, eine gewisse Scheißegal-Stimmung lag in der Luft. Zumindest bei mir.

Dass wir am Ende des Tages selten bis nie erlebte Freudengefühle auskosten konnten, ist eine schöne Schlusspointe, die wir ohne die vorherige Kacksaison nie hätten erleben dürfen. Man stelle sich vor, wir wären sorgenfrei zwischen Platz elf und vierzehn eingelaufen und die Schwabmaten hätten an unserer statt sich den Schub für die nächste Saison verpassen lassen. Na, danke für Backobst.

Punktlandung nennt man so etwas wohl. Passenderweise haben wir unsere kurze Nachtruhe an den Landungsbrücken verbracht. Nach einer alkoholischen Schlussoffensive auf der Reeperbahn, dortselbst in einer herrlichen Eckkneipe, die ortstypisch seemännisch ausstaffiert war: Steuerrad unter der Decke, Schiffsmodelle im Fenster, allerlei Seemannsschnickschnack als Deko. Waren auch einige mit HaEssVau-Utensilien anwesend, die ihr abermaliges Scheitern äußerst stoisch ertrugen. Überhaupt verfügt der gemeine Hamburger über ein scheinbar unerschütterliches Ruhegemüt. Wir haben mit einigen Exemplaren Bekanntschaft gemacht, nicht einer grollte uns. Das wäre in Nürrnberch, bei den dickschädeligen Deppenclubberern, ganz anders gewesen, so unsere Vermutung. Ich würde mich wirklich freuen, wenn der altehrwürdige Sportverein vom Rothenbaum eines schönen Tages mal wieder in der Bundesliga aufschlägt, genug gelitten haben sie allemal, auch wenn es ihnen nix auszumachen scheint.

Hätte Hertha, wie allgemein erwartet, die Sache in den Sand gesetzt, wären mit Sicherheit ein paar Pyros mehr auf den Rasen geflogen. Um uns herum wurden auch einige von den Dingern gezündet. So dicht war ich, abgesehen von Silvester, noch nie dran am Geschehen. Ganz schön heiß, das muss ich zugeben. Zudem sprühen die Dinger auch noch reichlich Funken, einige Pikser habe ich auf der Glatze spüren können, ein Kumpel trug Brandlöcher auf dem Herthaschal davon. Wir haben es als ewiges Andenken akzeptiert. Die nervigen Stadiondurchsagen zum Thema Feuerwerk mögen ihre Berechtigung haben, ich war trotzdem heilfroh, in dem ganzen Gelärme nix entsprechendes mit anhören zu müssen.

Auswärtsblock ist ja immer so eine Sache. Normalerweise bin ich kein Kurvenfan. Ich sitze auf meiner Schale im Olympi und verfolge das Spiel im Co-Trainer-Modus. Bei Chancen zucke ich mit dem Fuß oder ruckele mit dem Schädel, je nachdem. In Hämburch wurden wir von den Fan-Aktivisten quasi zum Mitsingen verdonnert. Normalerweise hätte ich mich der penetranten, an der Grenze zur Nötigung sich bewegenden Aufforderung zum Support widersetzt bzw. hätte das einfach ignoriert. Fickt euch, hätte ich nicht gesagt, aber gedacht. In diesem Falle, ging ja um was, fühlte ich mich verpflichtet, mein vokales Scherflein beizutragen. Ick kann euch sagen, das ist echte ARBEIT! Nach 75 Minuten war ich total erschöpft, reif für die Auswechslung. Aber ging nicht. Schlappmachen wäre mir wie Verrat an der Mannschaft vorgekommen, die da unten ebenfalls bis zum Umfallen rackerte. Also weiter, immer weiter gesungen, geträllert, geklatscht, gebrüllt. Und am Ende gejubelt. Ich hätte mich am liebsten auf dem Rasen unter einen Rasensprenger gelegt, um wieder zu Kräften zu kommen und die neunzig plus sechs Minuten abzuschütteln. Ein, zwei, drei oder mehr Bierchen erwiesen sich dann aber ebenfalls als nicht zu verachtende Alternative, Astra hin oder her.