Kandidatenraten

Als Hertha zullzwo in Hoffenhausen unterging, war ich auf der A9 Richtung Süden unterwegs. Radiosender war nicht empfangbar. Habe meinen Sohn irgendwann gefragt, wie es denn steht (er hat eh immer sein Handy inner Hand). Nulleins lautete die Antwort, wenn ich mich recht erinnere. Ich habe dann nicht weiter nachgefragt. Das Endergebnis habe ich erst am nächsten Tag erfahren, aufm Campingplatz in Pottenstein (Fränkische Schweiz). Bei Dardais Abschiedsverkündung waren wir am Chiemsee. Halleluja, wenn man mal ein paar Tage weg ist, dachte ich mir. Ich bin überzeugter Dardaiist, von daher war ich erstmal not so amused. Wie es scheint, war Pal irgendwie auch Amtsmüde, das ist sowat von nachvollziehbar, insofern trage ich die Entscheidung mit. Amen. Soll er sein Sabbatjahr nehmen, am Balaton auftanken, um die Welt reisen, Erfahrungen sammeln, Rotwein schlürfen, Krabben pulen. Anschließend wird sich bestimmt eine passende Schaltstelle für unseren Rekordspieler finden.
Ich hatte natürlich gehofft, dass die angekündigte Trainerdämmerung sone Art Brustlöser sein könnte. Von daher war ich voller Vorfreude, Ostersonntagabend im sonnigen Olympi einer frisch aufspielenden Hertha zukieken zu dürfen. Daraus wurde leider nix, obwohl ich meinen Urlaub extra um einen Tag abgekürzt hatte. Aber wer kann schon ahnen, dass sich an dem Tag gleich mehrere Personenschäden ereignen würden?! So lautet der Terminus bei der Deutschen Bahn für Schienensuizid. Wusste ich vorher auch noch nicht. Dreimal wurde der ICE zwischen Nürnberg und Berlin deswegen aufgehalten. Ein Kollege meinte heute zu mir, es sterben in Deutschland pro Jahr mehr Menschen durch Suizid, als durch Verkehrsunfälle. Bei schönem Wetter sei die Rate besonders hoch. Beim letzten außerplanmäßigen Halt – da war der Zug schon auf einer Umgehungsstrecke unterwegs – meinte der Lokführer, es sei „zum Glück beim Suizidversuch geblieben“ (vorher war nur von Personenschaden die Rede, ohne Erläuterung). Zu dem Zeitpunkt war mir schon klar, dass ich es nicht mehr bis zum Anpfiff schaffen würde. Dabei hatte ich mich so drauf gefreut. Kruzifix, was habe ich geflucht, als mir dämmerte, da wird nix draus. Fuckfuckfuck!!! Und dann auch ein bisserl gschämt, weil da drei arme Teufel mit dem Leben abschließen wollten bzw. abgeschlossen haben und icke um mein verpasstes Sonntagsvergnügen getrauert habe. Oh mei, bin halt auch nur ein Fussballfanatiker.
Asche aufs Haupt. Der Rest der Saison ist nebensächlich geworden, ab sofort ist Trainerdebatte, es darf munter spekuliert werden. Von den im Raum stehenden Namen hat mich am ehesten der Unaussprechliche von Young Boys angezeckt, vor allem wegen seinem Assi Harry Gämperle. Das hätte Sinn ergeben, der kennt unseren blauweißen Horror-Laden schließlich. Und was Co-Trainer wert sind, wissen wir spätestens seit Meister Widmayer. An weiteren Spekulationen mag ich mich nicht beteiligen. Ich würde mich allerdings freuen, wenn es keiner von den sog. „heiß gehandelten“ wird. Nicht, weil ich irgendwelche Abneigungen hege, ich lass mich einfach gern überraschen, Herr Preetz.
Vier Jahre ohne Abstiegsgefahr, das war so schlecht nicht. Ich werde auch Dardais Ansprachen vermissen, seine klaren Worte an die Oberschlaumeier und sonstigen Experten, Ihr wisst schon, die Hochjubler und Runterschreiber. Was man Pal vorwerfen könnte, wäre, dass er mit seinen genialen Hinrunden Erwartungen geweckt hat, die nicht zu erfüllen waren. Weil das hochgradig lächerlich wäre, verzichte ich einfach drauf. Ich fürchte nur, dass wir Pal Dardai erst richtig zu schätzen wissen, wenn wir den Start in die nächste Saison verkacken.