Der Faktor Trotz

„Für die scheiß Stimmung seid Ihr doch verantwortlich!“ Einer der legendären Sätze des bayerischen Paten, Meistermachers, Absturzopfers, Ex-Knackis, watnichallet. Uns Uli eben. Na jut, leider nich unser, sondern dem Dieter seine Keule. Adressat von Ulis Wutausbruch waren die eigenen Fans, das muss man sich erstmal trauen. Ich jedenfalls kenne keinen Vereinshäuptling, der sich derart provokant gegen die eigenen Farben geäußert hätte. Vermutlich hatte auch niemand der in Frage kommenden ein derartiges Standing bei der eigenen Anhängerschar, einer der unsrigen schon mal gar nicht. Vermutlich wäre es auch nicht empfehlenswert, angesichts Herthas bescheidener Erfolgsbilanz. Da hätte Ulrich H. unbestreitbar die besseren Argumente auf seiner Seite.
Lange Rede, kurzer Sinn: Mir ist auch nicht gerade feierlich zumute. Aber noch lange kein Grund, die Mannschaft zu demotivieren. Klar, im Stadion rutscht mir im Eifer mal was raus, kann jedem mal passieren. Grundsätzlich muss man sich auch als arroganter Herthaner eingestehen: Ist alles eng beieinander in dieser Liga und wir gehören heuer eher ins untere Tableau, so ist das Leben. Punkt.
Ja, der Abstiegskampf hat seine Tücken. Damit haben wir überwiegend keine gute Erfahrungen gemacht, auch das ist wahr. Im Keller kann es aber auch Laune machen. Was jetzt Not täte: Die Ansprüche runterfahren und den Trotzfaktor hochschrauben. Genau da kommt unsere Kurve ins Spiel: Unsere selbsternannten Stimmungskanonen, die Verfasser geistreicher Losungen, die Freunde des gepflegten Feuerwerks. Habe in einem meiner letzten Beiträge ein kleines Lob versteckt, nun ist es an der Zeit, mal wieder ordentlich auszuteilen. Die Damen und insbesondere Herren (vermute ich mal) haben noch nicht begriffen, worum es geht. Support im Erfolgsfall kann nämlich jeder, Vertreter dieser Gattung nennt man Erfolgsfans. Das ist keine große Kunst, das ist Pippikram. „Wir wolln euch kämpfen sehen!“, so schallt es üblicherweise aus Richtung Osten, wenn die Alte auf dem Rasen am rumstümpern ist, wenn sich Stockfehler häufen, die Abstimmung hinten und vorne nicht klappt. Der Kampfbefehl hilft hier nicht weiter, im Gegenteil, Ihr treulosen Tomaten.
Weil die Jungs auf dem Feld umso verbissener versuchen, es sich und allen recht zu machen. Was dabei herauskommt, konnte man gegen Doofmund beobachten: Hektische Aktionen, unkontrollierte Abschlüsse, abstruse Verzweiflungstaten. Im Klartext: Krampf statt Kampf. Wenn einem zum Dank für die Bemühungen dann noch diverse Wurfgeschosse entgegen fliegen, beflügelt das alles Mögliche, nur eines mit Sicherheit nicht: die Motivation, es beim nächsten Mal unbedingt besser machen zu wollen. (Stattdessen schaue ich mir vorsorglich lieber ein paar Angebote von anderen Vereinen an).
Noch was fürs Stammbuch: Hertha ist für Schöngeister und Perfektionisten die falsche Adresse. Dieser Verein vereint allfälligen Größenwahn mit eklatanter Kleingeistigkeit derart unübertroffen, dass in jedweder Lage ein grandioses Scheitern als nahezu programmiert angesehen werden muss. Das ist nicht immer leicht, ich mag trotzdem mit niemandem tauschen.