Altes Leid, neues Glück

16.42 Uhr, Montag.

Ich bin rückfällig geworden. Seit dieser Saison bin ich wieder Mitglied einer KickTipp-Runde. Kleiner Kreis, initiiert von einem unbekannten Flensburger Triathleten, Berufsschullehrer und Hobby-Herthaner. Er ist Letzter, ich Vorletzter. Das alte Elend, man ärgert sich über Ergebnisse, weil man mal wieder knapp daneben getippt hat. Hertha hatte ich zumindest von der Tendenz her richtig, allerdings lautete mein Schlaumeier-Tipp 1:3. Hätte gut und gerne auch 0:4, 1:5 oder 2:7 ausgehen können, mit etwas Massel 1:1, mit richtig Dusel 2:1 für uns, wobei wir damit unser Glück für die restliche Saison vermutlich voll ausgeschöpft hätten. Vorerst bleibt uns nicht viel mehr übrig, als uns über eine engagierte, aufopferungsvoll kämpfende Truppe zu freuen. Und über einen Präsidenten, der den zerstrittenen Verein offenkundig einigermaßen befrieden konnte.

Die üblicherweise eher unduldsam auftretenden Extremisten der Ostkurve gerieren sich aktuell derart handzahm, dass es auch die Herren Profis sichtlich irritiert. Sie trauen dem Frieden offensichtlich nicht. Als es nach dem Abpfiff aufmunternden Applaus gab, näherten sich unsere Helden wie eine Horde geprügelter Hunde dem strengen Herren, in Erwartung einer ordentlichen Tracht Prügel oder zumindest einer gehörigen Schimpfkanonade. So wie früher, zu Zeiten von Gegenbauer und Windhorst. Stattdessen gaben sich die schwarzgewandeten Hohepriester altväterlich milde, vielleicht ein paar gestrenge Blicke, wobei ich das von meinem Platz in Block P so genau nicht sehen konnte.

Was sich dagegen nie ändern wird, ist das penetrante Dummfragen einiger buckliger Verwandter. Ob ich denn schon die Niederlage verdaut hätte, wurde ich heute süffisant gefragt. Und das Union ja sooo großartig sei, darauf könne Berlin wirklich stolz sein. Ob denn dieser lange, dunkelhaarige Typ noch bei Hertha sei, der kriege ja überhaupt nichts gebacken.

Nein, ich knabbere immer noch an der Niederlage und ja, Union ist wirklich unfassbar fantastisch und nochmal nein, Michael Preetz amtiert nicht mehr, seit geraumer Zeit, Futschikato Preetzinho. Den Namen Bobic habe ich tunlichst verschwiegen, vielleicht kommt sie von selbst drauf, wobei ich mutmaße, das wird die Schwester nicht. Per WhatsApp teilte mir ein anderer Verwandter mit, ein gewisser „Axel Lüdicke“ hätte im Tagesspiegel wieder eine großartige Glosse zu Hertha verfasst. „Ein genauso treues und leidensfähiges Mitglied wie du“. Meinst du etwa Frank Lüdecke, den Kabarettisten, frug ich fies zurück? Und fügte noch an: Den Tagesspiegel lese ich kaum, fliege höchstens mal über die Überschriften. Und dann: Tagesspiegel, so ein Kackblatt, damit würde ich mir nicht mal den Arsch abwischen! Hätte ich am liebsten losgeblökt (per WhatsApp-Audio-Botschaft), aber das habe ich mir verkniffen, mein Vater hat es sicher nur nett gemeint.

Ich bin am Samstag übrigens mit dem Fahrrad ins Olympiastadion, so wie meistens. Liegt nicht weit entfernt von meinem Charlottenburger Hinterhausparadies. Hinten drauf ist ein zusammenklappbarer Korb montiert, darin klemmte seit Menschengedenken zusammengeknüllt eine blaue Ikea-Tasche, Ihr wisst schon, diese Riesenteile, in die ein kleines Billy-Regal reinpasst. Hatte sie dort aus Gründen einfach drin liegen lassen und dachte mir, schauen wir mal, wie lange die schöne Ikea-Tasche im Körbchen liegen bleibt. Und was glaubt Ihr Schäfchen?! Wochenlang, nein, mo-na-te-lang lag sie da, vollkommen unberührt, niemand hat sich das gute Stück gegriffen, obwohl es vollkommen offen und frei zugänglich da lag, quasi zum Mitnehmen nötigend. Am vergangenen Samstag, als ich einigermaßen verdrossen aus dem Stadion zu meinem treuen Fahruntersatz schlenderte, war es passiert. Endlich, endlich bin ich Ding los! Danke, Du unbekannter Dieb, mach was draus, pack ordentlich was rein und werde ein besserer Mensch, so wie wir Herthaner. Amen.

17.22 Uhr, immer noch Montag.