Alles schon mal dagewesen

„Davon werde ich meine Enkel noch erzählen!“, heißt es jetzt wieder, nach der epischen Pokalschlacht gegen den Sportverein aus Hämburch. In meiner persönlichen Top-Ten der besten Hertha-Spiele aller Zeiten wird das gestrige Achtelfinale einen Ehrenplatz einnehmen, da war ich mir gestern sicher und auch heute noch, zumindest ein bisschen. Als es ans Elferschießen ging, wurde auf der Tribüne eifrig im Erinnerungskästchen gekramt, wann man denn das letzte Mal Hertha beim 11er-(ver)Schießen live miterlebt hat. Gegen Stuttgart, irgendwann inne 90er, meinte mein Nachbar. Stümmt, irgendwat war da. Ewig lange her.

Aber hallo, meldete sich mein Fußballhirnarchivar, haste Dynamo Dresden etwa schon vergessen?

Selbst die Dachkonstruktion hat vor lauter Pyrowahnsinn geglüht, ick schwöre

Hatte ich tatsächlich, dabei war es eines der größten Spiele meines Lebens. Top five, würde ich sagen. Und ziemlich genau vier Jahre her, also vergleichsweise frisch. Witzigerweise ganz ähnliche Dramaturgie: Last-Minute-Ausgleich zum 2:2 durch Rowdy Ebert (allerdings gegen Hertha), Rückstand in der Verlängerung, Last-Minute-Ausgleich zum 3:3 durch Torunarigha. Im Elferschießen gings nochmals hin und her, nicht so souverän wie gestern, aber am Ende erfolgreich. Grujic (wer erinnert sich?) der entscheidende Schütze. Unser Trainer war Ante Covic, auf dem Platz ein paar Haudegen, deren Namen ich längst vergessen habe.

Ich frage mich ernsthaft, wie ich dieses Spiel verdrängen konnte?! Hatte mir damals extra einen Spielschal gekauft, blau-weiß für Hertha, schwarz-gelb für Dresdenia. Hängt noch immer an der Garderobe, die richtige Gelegenheit zum Auftragen gabs noch nicht.

Die alte Dame lädt zum Tänzchen

Kleiner Einschub: Hab seit meiner Jugend ein Faible für diesen DDR-Kultverein. Als Westberliner konnte ich den Ostfußball eifrig verfolgen, insbesondere die Europapokalauftritte von Lok, BFC, Magdeburg, Carl Zeiss, die jute alte DDR-Elite. Unsere sportbegeisterten Brüder und Schwestern haben fleißig Live-Übertragungen gesendet, im Gegenteil zum piefigen Westfernsehen, da musste man oft bis in die Puppen wach bleiben, um ein paar Zusammenfassungen kieken zu können. Schande über euch, ARD und ZDF!

Also nochmal, wie konnte ich das Pokalspiel gegen Dynamo vergessen? 70.000 im Stadion, davon 50.000 Sachsen, neben mir, über mir, unter mir. Das Stadion brannte 120 Minuten, gefühlt jeder Gelbschwarze hielt eine Fackel in der Hand. Kein Kumpel weit und breit. Egal. UND: Wir hatten schließlich gewonnen, dramatisch, ähnlich wie gestern. Also warum??

Und immer wieder geht die Sonne auf

Theorie 1: Weil wir in der folgenden Runde (Achtelfinale) mal wieder unverdient an Schalke gescheitert sind (2:3 nach Verlängerung), auch das hatte ich (nachvollziehbar) verdrängt. Theorie 2: Corona. Die ganze Soße begann in der Rückrunde, zog sich endlos hin und hat Folgen gezeitigt, die bis heute nachwirken und von den Protagonisten hartnäckig verdrängt werden. Das Ding wird uns noch eine ganze Weile beschäftigen, Freunde der Sonne, gebick euch 1 großes Scheinchen druff.

Aber vorher nochmal kurz zu gestern, dem grandiosen Kick gegen die unaufsteigbaren Rotschlüpper, Zweitliga-Dino in spe. Der große Unterschied zu 2019: Unsere Mannschaft ist tatsächlich eine Mannschaft, ein Füllhorn jugendlichen Übermuts, ein Haufen schräger Vögel, einfach zum Knuddeln. Komme im Viertelfinale, wer da wolle.