[image caption=“Schreck, lass nach“ image_link=“/wp-content/uploads/2014/02/heuschrecke.gif“ float=“right“ style=“round“/] Was sagen wir denn dazu? Hertha mit einem Schlag schuldenfrei und noch reichlich Spielgeld übrig, dafür kriegt ein Investor knappe zehn Prozent, hat sportlich aber nichts zu sagen und hält auch sonst brav die Schnauze? Träumchen, oder?
Schuldenfrei… Waren wir noch nie, soweit ich zurückdenken kann. Hertha und schuldenfrei, zwei Worte, die sowenig in einen Satz gehörten wie „Waldi“ und „nüchtern“. Der gelernte Hertha-Fan ist erstmal misstrauisch: Wat solln dit sein? Schuldenfrei? Da kann do wat nich stimmm.
Schauen wir uns die Lage mal genauer an: KKR Asset zahlt 61,2 Millionen Euro und erhält dafür 9,7 % der Anteile an der als Kommanditgesellschaft auf Aktien ausgegliederten Lizenzspielersparte, sprich der Profiabteilung. In der GmbH & Co. KGaA, als die die Profiabteilung firmiert, ist grundsätzlich die GmbH, die auch weiterhin zu 100% dem Verein gehört (und deren Geschäftsführer vom Präsidium, das wir wählen, bestellt wird), als Komplementär bestimmend und somit Herr über ALLE Entscheidungen – selbst wenn mehr als 50% der Aktien der KGaA abgegeben würden. Das ist auch der Grund, weshalb solche Investments bisher für strategische Anleger als nicht attraktiv galten und sich keine strategischen Partner für andere Bundesligisten fanden (mal abgesehen von Bayern München, die aber keine Investmentfonds als Partner haben). Aber ohne Mitbestimmungsrecht bei wichtigen Entscheidungen wie Transfers, Eintrittspreisen, Rechtehandel etc. scheuten Investoren bislang das Risiko, dem bierseligen Votum einer Mitgliederversammlung bei substantiellen Personalien ausgesetzt zu sein.
Diese Sichtweise scheint sich nun zu ändern: Klassische Anlageformen sind weitgehend ausgereizt, die Zinsen niedrig, das Geld muss investiert werden. Der Sportmarkt in Europa wächst seit zwanzig Jahren mit jährlich zweistelligen Wachstumsraten deutlich schneller als jeder andere Markt. Die Bundesliga hat gerade einen neuen weltweiten Vermarktungsdeal mit 20th Century Fox abgeschlossen, eilt von Umsatzrekord zu Umsatzrekord und wird dabei immer noch um Längen vom scheinbar unendlichen Wachstum der Premier League übertroffen. Steigende Umsätze und Gewinnaussichten führen auch zu einer konstanten Wertsteigerung der Vereine – und das scheint in unserem Fall auch die ausschlaggebende Motivation von KKR zu sein. Da bedarf es auch keiner weiteren „Hertha bleibt Hertha“-Statements unserer Vereinsoberen – selbst wenn KKR wollte, ist es für den Investor unternehmensrechtlich unmöglich, Einfluss auf sportliche Entscheidungen zu nehmen, daran ändert auch der normalerweise mit solchen Deals einhergehende Sitz im Aufsichtsrat nichts. Bei 1860 München konnten die Fondsmanager zuletzt sehr anschaulich verfolgen, was passiert, wenn ein Investor diesen Sachverhalt ignoriert. Wir dürfen deshalb davon ausgehen, dass sich KKR dessen bewusst ist.
Es drohen also keine englischen Verhältnisse, wo die Vereinseigner über den Trainer bestimmen. Der DFB wurde für die stringente Ausgestaltung der Richtlinien für die Umwandlung der Vereine (bzw. deren Profiabteilungen) in Aktiengesellschaften einst heftig kritisiert, nun scheint die Bundesliga von dieser genialen Ausnutzung des deutschen Unternehmensrechts zu profitieren. Dass ausgerechnet unsere Hertha von dieser Entwicklung als Erste profitiert, ist natürlich in erster Linie der Hauptstadtklub-Funktion zuzuschreiben. Allerdings haben wir diese Rolle ja schon etwas länger inne – die gute sportliche Situation und nicht zuletzt die einigermaßen seriöse Geschäftsführung dürften also auch einen wichtigen Anteil an der Entscheidung für Hertha gespielt haben. Das ist natürlich genau das Gegenteil von einem „Quantensprung“, als den Michael Preetz das Geschäft bezeichnete (denn der stellt ja schließlich die KLEINSTmögliche Veränderung in einem System dar), sondern ein epochaler Schritt für Hertha und möglicherweise die ganze Bundesliga.
Wobei – eine schuldenfreie Hertha mit Geld im Rücken ist irgendwie schon ein ganz anderer Verein, so kannte ich meine Hertha bisher nicht. Wir waren immer nur der etwas runtergekommene, aber dennoch die große Bühne suchende Berliner verarmte Adel, stets in Geldnot und trotzdem auf jeder Party dabei. Jetzt haben wir Kohle – da wird sich auch Hr. Preetz erstmal dran gewöhnen müssen. Ganz andere Grundlage, auf der man jetzt einen Wechsel von Ramos nach Dortmund nach Ende dieser Saison beurteilen muss. Und jeder Spieler, der in Zukunft mit Hertha verhandelt, wird sicher ’ne Million teurer sein als vorher (lt. Hr. Watzke bisher das „Dortmund-Phänomen“). Bin mal gespannt, wie lang die Kohle reicht – oder ob das tatsächlich gar der turning point ist? Schuldenfrei, Gewinne, Investitionen, Champions League, Deutscher Meister – noch zu unseren Lebzeiten?
Kann natürlich auch sein, dass sich bis auf die Schuldenfreiheit erstmal nicht viel ändert. Z.B. weil unsere Schulden in Wirklichkeit viel höher waren o.ä. Warten wir’s ab. Und kaum erwähnenswert: Selbstverständlich ist KKR ein absolut rücksichtsloser und amoralischer Finanzkonzern, für den Profit über alles geht und der auf exemplarisch menschenverachtende Weise zuletzt das ehemalige Traditionsunternehmen WMF wertsteigernd zertrümmert und und dabei Tausende von Arbeitsplätzen vernichtet hat. Aber diese und schlimmere Litaneien könnten wir natürlich auch von nahezu allen anderen Verbrechern singen, die auf dieser Welt dafür sorgen, dass das große Rad der endlosen Geldvermehrung und Profitmaximierung immer weiter und weiter gedreht wird…
The future’s so blue and white – I gotta wear shades!
Verschillert! Is ja doch alles ganz anders, wie heute dem Tagesspiegel zu entnehmen ist: 9,7% der Anteile gibts für 20 Millionen. 34 Mios sind zur vorfristigen Ablösung unserer Harakiri-Deals aus der Vergangenheit vorgesehen, in deren Rahmen wir anscheinend schon alle Einnahmen bis hastenichgesehn verhökert hatten. Der Rest ist Signing Fee. Und die 34 Mios können nach sieben Jahren in weitere knapp 20% der Anteile umgewandelt werden, falls Hertha sie nicht zurückzahlen möchte.
Das stellt den ganzen Deal in ein vollkommen anderes Licht. Soll nicht heißen, dass er schlecht ist – nur haben wir wohl eher den nahenden Exitus vermieden als uns auch nur annähernd in eine Lage versetzt, die es tatsächlich ermöglicht hätte, mittelfristig mit den Big Spendern hinter Bayern und Dortmund mitzuhalten. Nachwievor spielen Werksclubs wie Leverkusen und Wolfsburg in einer ganz anderen Liga.
Ansonsten alles beim Alten – wir haben offizielle mails sowohl als Mitglieder als auch als Fans von Hertha erhalten, in denen uns mal wieder nur die halbe Wahrheit erzählt wurde. Fragt man sich natürlich, warum. Wahrscheinlich wird uns nicht zugetraut, das zu verstehen bzw. anzuerkennen. Wie so oft. Also bleibt es auch dabei: Schiller muss weg!
Goethe