Pal als Pausenclown mag ganz witzig sein, aber die weitaus wichtigere Entscheidung war in meinen Augen, Rainer Widmayer zu verpflichten – und diese Personalie ist, wenn ich das richtig verstanden habe, wiederum auf Pal Dardais Mist gewachsen. Bislang also alles richtig gemacht, Herr Teamchef.
Dass sich der Wind so schnell dreht, hat mich dann doch überrascht. Vor Monaten gab ich im Brustton der Überheblichkeit von mir: Mit dem Abstieg werden wir nichts zu tun haben. Und selbst vor ein paar Wochen habe ich allen Ernstes im Kollegenkreis behauptet, dass Hertha absteigt, sollte Jos Luhukay entlassen werden. Ein vorlautes „Da-gebick-dirn-Schein-druff“, gabs gratis hinterher. Asche auf mein kahles Haupt.
Ich hoffe, dass ich einfach nur voreilig war. Warum es mit Luhukay nicht mehr funktioniert hat? Keine Ahnung. Herthas Probleme sind durch Personalien alleine jedenfalls nicht zu lösen, da muss man tiefer bohren. Wenn ich nur wüsste, wo?
Grundsätzlich haben wir das Manko, dass alles eine Nummer zu groß ist: Das Stadion, die Ansprüche und Erwartungen, der Medienrummel, die Schlangen am Bierstand. Aber damit müssen wir leben, das gehört bis auf Weiteres dazu.
Darum fand ich die Luhu-Nummer auch so geschmeidig. Der Generalissimo hat das Gegenteil von Großmannssucht repräsentiert, war ein grundsolider, sachlich-nüchterner Arbeiter im Weinberg der Alten Dame. Schade, schade. Aber Jammern hilft nix, wieder hat eine neue Zeitrechnung begonnen. Eine, die nicht besonders lange andauern wird, fürchte ich.
Aber muss es immer gleich eine Ära werden? Nach dem Leverkusen-Spiel haben wir zusammen in der Kneipe gehockt und das Managerspiel gespielt. Unsere Idee: Warum nicht mal einen Trainertausch? Luhukay geht nach Dortmund, im Gegenzug kommt Klopp. Als erfahrener Web-2.0.er habe ich (@egmonte) den Geistesblitz am 4. Februar um 10.59 pm sogleich in die Welt gezwitschert:
Vorschlag zur Güte: @Hertha und @BVB tauschen bis Saisonende die Trainer. #erstertrainertauschderwelt
Prompt kam eine Favorisierung von Sven Flohr, immerhin ein Mann von Welt(sport). Am nächsten Tag noch ein Retweet vom Webmaster, das wars dann. Obwohl, nicht ganz: Print-Keule @palplus von der Berliner Zeitung bastelte aus dem durchaus ernstgemeinten Vorschlag nur wenige Stunden später eine veritable Ente:
*** EIL *** Hertha und Dortmund einigen sich auf Trainertausch. #hahohe #BVB
Es wär so schön gewesen. Der Rest der Fußball-Welt hat wie üblich mit Ignoranz reagiert, von Hertha ganz zu schweigen. Ich weiß natürlich nicht, ob Micha Preetz im Hintergrund an dem Mega-Deal gearbeitet hat, falls doch, dann ohne Erfolg. Von mir gibts deshalb keinen Vorwurf, es ist nämlich vorstellbar, dass der BVB mit dem Trainertauschvorschlag nicht ganz so warm geworden wäre, wie wir mit Klopp. Weiß der Geier, warum.
Jetzt ist es eh zu spät. Wieder eine große Chance verpasst, das Stigma abzuschütteln, ein Verein ohne Eigenschaften zu sein. Der Tagesspiegel hat es gerade wieder herausgekramt.
Zitat: „Hertha ist ein Klub ohne Profil, einer, der nicht aneckt, der den meisten Leuten außerhalb Berlins aber auch ziemlich egal ist.“
Diese Litanei habe ich so oder so ähnlich schon hunderttausendmal gelesen und gehört. Dabei ist es weder wahr noch besonders originell, sondern lediglich der Denkfaulheit von Schreibknechten geschuldet, die in wenigen Stunden eine Seite Drei befüllen müssen und nicht groß Zeit haben, die Sache mal gründlich durchzudeklinieren.
Zunächst mal sei angemerkt, dass die meisten Vereine den meisten Leuten außerhalb des vereoinseigenen Einzugsgebiets ohnehin relativ egal sind. Und was soll uns das Wort „Profil“ in dem Zusammenhag überhaupt sagen? Am ehesten ließe sich der Begriff mit der Vokabel „Image“ umschreiben. Man kann Hertha eine Menge nachsagen, aber nicht, dass unser Verein kein Image hätte. Es mag kein besonders schmeichelhaftes sein, vielleicht ist es sogar ganz miserabel, aber ein Image gibt es zweifellos. Ergo gibt es auch ein Profil. #altklug
(Exkurs: Reifen ohne Profil nennt man Slick. Bedeutet, man fährt mit weniger Widerstand. Auch so gesehen zielt der Vorwurf mangelnden Profils daneben. Leider, müsste man wohl hinzufügen.)
Doch zurück zu unserem Image. Was für eins haben wir denn nun? Lange Zeit hing uns das Skandalnudel-Image an. Stichwort überhöhte Handgelder, verschobene Spiele, Lug und Trug. Dann kam Onkel Dieter, der wollte uns auf schick trimmen, ein schmucker Hauptstadtverein, mit Halbwelt und Promiglanz auf den besseren Plätzen, so etwas schwebte ihm wohl vor. Heraus kam PlayBerlin, ein Anti-Slogan, so griffig wie nasse Seife. Zu Dieters Hybris gehörte, dass er Herthas mitunter schmuddelige Persönlichkeit übertünchen wollte. Ihm gefiiel ja auch die Bezeichnung „Alte Dame“ nicht. Aus diesem Grund turnt bei uns ein Bär auf blauem Oval herum. (wobei ich Herthinho schon länger nicht mehr gesehen habe, isser verletzt?). Nach Didis Demission schien sich Hertha eines Besseren zu besinnen. Die Kiezkicker-Initiative sollte Hertha erden, Motto: Wir wissen wo wir herkommen, Berlin isn Dorf und der Verein bist auch Du. Kann sein, dass es der vorher durchlittene Abstieg war, der Hertha zurück zu den Wurzeln trieb, egal, es sollte ein Zeichen setzen. Und hat ja auch gewirkt: In der folgenden Zweitligasaison gab es einen regelrechten Mitgliederboom. Zweite Liga war wie ein Durchlauferhitzer. Mir klingen die Lobeshymnen, die nach vollbrachtem Aufstieg auf Hertha niederprasselten, noch in den Ohren. Zeitungen, die was auf sich halten, haben Bücher verfasst, einige habe ich mir sogar zu Gemüte geführt. Gerade eben habe ich mir nochmal das „Buch zum Aufstieg“ des Tagesspiegels gegriffen. Da schwelgt der Sportchef in nie gehörten Superlativen, beschreibt Hertha als „plötzlich wieder sexy“, bestaunt ihre „erstklassige Erneuerung“ und frohlockt: „Dieses Buch ist ein Kompliment an das Team von Hertha BSC und seine Anhänger, die gemeinsam ihren Verein mit Leichtigkeit verwandelt haben.“
Die Einschätzung liegt noch nicht so lange zurück, ich bezweifele, dass sich Hertha in dieser kurzen Zeit derartig gewandelt haben soll. Fazit: Der Klub ist weder rosarot, wie ihn der aufstiegseuphorisierte Tagesspiegelchef anno 2011 zeichnete, noch so farblos, wie ihn seine Edelfedern im Februar 2015 darstellen. Wahrscheinlich wäre ihr Traktakt zwei Tage später (also heute) schon wieder ganz anders ausgefallen. Was lernen wir daraus? Exakt: Sportliche Zustandsbeschreibungen sind nicht viel mehr wert, als der Wetterbericht.
Ich sags mal so: Hertha ist ein Chamäleon – mal hübsch anzuschauen, dann wieder zum wegrennen. Bin gespannt, welches Fass nach dem 2:0 in Mainz aufgemacht wird. Kein so großes, vermute ich mal. Nachdem soeben noch alles trist und grau war, darf morgen höchstens der Boulevard laut jubeln und sein Fähnchen in den Wind hängen.
Warum auch nicht? Man muss die Furze fangen, wenn sie gelassen werden. Und Gejammer werden wir schon bald wieder zu hören kriegen, da gebe ich mich keinen Illusionen hin. Ich weiß auch schon, wie die Klage lauten wird, wenn wir nach dem nächsten Abstieg maximal im Mittelfeld der 2. Liga rumkrebsen. Dann wird garantiert gefordert: „Uli Sammernigge raus! Holt Preetz zurück, mit dem kann man wenigstens hin und wieder eine Zweitligameisterschaft feiern!“