Wat fürn Kunde

Kennt jemand die Kneipe Berlinchen City in der Bayreuther Straße? Ich bislang nicht, genauer gesagt, bis Samstag. Am Samstag bin ich nämlich wenige Stunden vorm Anpfiff des Topspiels zufällig dran vorbei gestolpert. Als erstes fiel mir die Skyfackel auf, als nächstes ein Aufsteller in gelber Signalfarbe. Darauf stand die Paarung (Werder vs Hertha), Anstoßzeit und als zusätzlicher Anjucker: „Für jedes Herthator ein Kümmerling gratis“. Ich natürlich sofort ein Foto geschossen, um es in unserer Whatsappcommunity zu posten. Gedacht hab ich mir nix dabei. Etwas zu posten und sich nix dabei zu denken, ist spätestens mit Anbruch des Digitalzeitalters als fahrlässig zu bezeichnen.
Es meldeten sich selbstredend umgehend ein paar Kommentaristi, die mein unbedachtes Posting als Aufforderung zum gemeinschaftlichen Fussikieken missverstanden hatten. Dachte ich mir zumindest. Na jut, dachte ich mir weiter, ich hab eh nichts besseres vor, also auf nach Berlinchen City. Ums kurz zu machen: Berlinchen City, das sind drei Wirtinnen mit Berliner Schnauze, fünf Biersorten vom Faß, Touristenvolk mischt sich mit Stammpublikum. Zwei relativ große Bildschirme, allerdings gibt es auch etliche Plätze mit Sichtbehinderung. Ich entschied mich für Andechs vom Faß (kann man trinken). Gratis-Kümmerling fiel leider flach, das werden zumindest die fußballaffinen Leser geahnt haben.
Dabei hatte ich fest mit einem Sieg gerechnet. Wobei: Wenn ich absolut siegessicher bin, klappts meistens nicht mit drei Punkten, das ist seltsamerweise auch umgekehrt so. Wenigstens gabs keine Niederlage, auch wenn wir kurz davor standen, also hefte ich das Spiel mal unter Punktgewinn ab. Rückrundenbilanz so weit so mittelmäßig: Drittes Spiel, zweiter Punkt, weiter sieglos. Hör ick dir schon trapsen, Krise? Ha ha, kleiner Scherz. Trotzdem lieber auf Holz geklopft. Knock, knock, knock.
Woanders kann man über Krisenscherze nicht lachen. Zum Beispiel beim Wahre-Liebe-Klub, angesichts der dortigen Formkurve auch kein Wunder. Wirklich seltsam: Erst Megastart, dann krasser Absturz, als Hintergrundrauschen permanentes Auba-Theater. Wie blank die Nerven liegen, zeigte Torsteher Bürki, der es wagte, nach dem Remis gegen das Freiburger Abo-Überraschungsteam die eigenen Fans zu kritisieren. Die würden eh nur ins Stadion kommen, um zu pfeifen, so Bürkis Vorwurf an die treuesten der Treuen. Der verbale Ausbruch des Keepers war so ungeheuerlich, dass ihn sein Manager umgehend zurückgepfiffen und zusammengefaltet hat. Zitat Zorc: „Das war deplatziert und inhaltlich falsch. Ich würde jedem Spieler empfehlen, sich das Spiel selbst noch mal anzuschauen. Ich bin sicher, dann würden sie selbst pfeifen.“ Wenn olle Susi mit dem Zeigefinger fuchtelt, ach herrjemineh.
Wie dem auch sei, ich unterstelle Herrn Bürki jedenfalls keine böse Absicht, vielmehr dürfte es sich um ein Missverständnis handeln, übrigens ein weit verbreitetes Missverständnis. Und zwar um folgendes: Bei den Herrschaften, die allwöchentlich ins Stadion pilgern, handelt es sich nicht um selbstlose Samariter, die angesichts einiger kunstfertiger Ballartisten fröhlich ihrem Altruismus frönen, sondern in erster Linie um Kundschaft, die etwas für ihr Geld sehen will. Jawohl, das, was fälschlicherweise als „Fans“ tituliert wird, sind nichts weiter als Kunden. Im Zweifelsfall sogar extrem kritische Kunden. Bei einem nicht ganz unerheblichen Teil handelt es sich zudem um Kunden, die ganz eindeutig ein Suchtverhalten an den Tag legen. Wenn der Stoff gut ist (sprich: die Mannschaft gewinnt oder spielt wenigstens so, dass man ihr Siegeswillen unterstellen kann), dann gibt es auch keine Beschwerden. Im anderen Fall wird wenigstens gepfiffen. Interessanterweise ist bei dauerhaft miesem Produkt (sprich: sportliche Dellen, Ergebnis- und sonstige Krisen) nicht notwendigerweise mit einem Ausbleiben der Kundschaft zu rechnen. Das hängt wieder mit dem Suchtverhalten zusammen. Wer einmal angefixt wurde, kommt von seinem Stoff (sprich: Herthatrikot) nur schwer wieder los. Also geht man wieder hin, ins Stadion nämlich, und pfeift sich notfalls die Seele aus dem Leib, um so die eigene Abhängigkeit zu kaschieren.
Ich merke gerade, dass man hier noch ein paar Kapitel anfügen könnte, denn Geschäftemachen mit fanatischer Kundschaft ist in der Tat eine Wissenschaft für sich. Könnte man ein Buch drüber schreiben, ein E-Book sogar. Das könnte ich nur leider nicht mehr kostenlos feilbieten, so wie hier, das wäre dann nur gegen eine kleine Unkostenerstattung als HerthaUnserPlusContent verfügbar. Ich werde mich diesbezüglich mal mit dem Webmaster unterhalten, wenn der mal aus seinem Pizzaladen rauskommt, dem Cachondeo in der Skalitzer Straße, sehr lecker, preiswert und urgemütlich, demnächst gibt es dort auch Lesestoff. Sogar Mitchell Weiser könnte dort Pizza essen, ohne gegen vegane Prinzipien zu verstoßen. So sieht das mal aus, Ihr Leckermäuler.