Ich hatte die Sache mit der Blockfahne fast vergessen. Schon damals habe ich mich gefragt, wer zum Fußballteufel das Ding geklaut haben mag? Und wann und an welchem unseligen Ort sie eines fernen Tages wieder auftauchen wird? Denn das ist ja wohl der einzige Zweck einer solchen Frevelei: Das gegnerische Heiligtum bei passender Gelegenheit zu präsentieren und öffentlichkeitswirksam zu schänden. Nun wissen wir endlich bescheid, die quälende Ungewissheit ist vorbei. Wenigstens das. Die wie immer bestens informierte Kommentatorengilde wusste denn auch gleich zu vermelden, dass solcherlei Gebaren in Ultrakreisen ein unübertreffliches Höchstmaß an Provokation darstellt. Das erklärt natürlich auch, warum die HerthaUltras so ungehalten reagiert haben. Wobei die Böllerei ja vor der Fahnenzündelei losging – haben die was geahnt? Womöglich sogar gewusst? Wurde das Blockfahnenbrimborium ultraintern angekündigt? Gar abgesprochen? Das mit den weißen T-Shirts muss ja auch irgendwie untereinander kommuniziert worden sein, an Zufall mag ich kaum glauben, obwohl ich sonst allerlei seltsamen Ungereimtheiten zur allzu gerne meinen guten Glauben schenke.
Ihr seht schon, das schöne Spiel, der gute, alte, pure, unbefleckte Sport, den wir alle so sehr lieben, wurde mal wieder zur Nebensache degradiert. Und zwar, wie üblich, von einigen wenigen unverbesserlichen sogenannten Ihrwisstschonwenichmeine. Wir alle wissen es. Und auch wieder nicht. Ich jedenfalls kenne keinen persönlich, der da Pyros in den Hansa-Block gefeuert hat. Glaube ich zumindest. Sicher bin ich mir aber nicht.
Wenn man in so einer Gruppe aktiv ist, entwickelt sich ja immer eine gewisse Eigendynamik. Ich kenne das aus meiner eigenen Jugend, der wilden. Mein erstes Auswärtsspiel, nur mal als Beispiel. Es war in Braunschweig, nach dem Spiel. Plötzlich setzt sich vor mir der Mob in Bewegung, ich laufe mit. Ich war nämlich Mitläufer. Und dann – zack und ohne scheiß – spüre ich auch schon einen heftigen Schmerz zwischen den Schulterblättern. Ich drehe mich um und sehe behelmte Polizisten, genauer, eine Polizistin. Die hatte mir mal eben prophylaktisch ihren Gummiknüppel einmal quer über den Rücken gezogen. Dass aus mir dennoch ein halbwegs unserem Rechtsstaat vertrauender Bürger wurde, grenzt fasst an ein Wunder. Aber ich will nicht abschweifen, diesmal nicht.
Mir war bis vor kurzem nicht recht klar, dass zwischen Hertha und Hansa über das übliche Maß hinausgehende, sagen wir mal, atmosphärische Störungen vorherrschen. Das habe ich erst im Vorfeld des Spiels via Medienstudium erfahren. Dabei hätte ich das wissen können, vielleicht sogar müssen. Allerdings war mein Interesse an der Pflege von Rivalitäten noch nie sonderlich ausgeprägt. Ich weigere mich zum Beispiel bis heute, den Namen Schalke nicht auszusprechen. Ich gebe hier auch gerne zu, dass ich durchaus Sympathien für Hansa Rostock hege. Die Gefühle in dieser Hinsicht waren nie sonderlich ausgeprägt, aber wenn es gegen Großaspach, Erfurt, Chemnitz oder ähnliche Kaliber ging, wusste ich schon, wem ich die Daumen drücke. Kann sein, dass es mir zukünftig schwerer fallen wird, glaube ich aber eher nicht. Obwohl, wer weiß.
Die Aufregung ist jedenfalls immens. In den überregionalen Nachrichten sind wir eines der Topthemen. Senatoren, Minister, Sicherheitsfreaks, Rechtsgelehrte, Philosophen, Naturheilkundler, jeder meint nun, etwas zum Thema beisteuern zu müssen. Demnächst sind Wahlen, sollte man dabei nicht vergessen.
Ich bin zusammengezuckt, als am Montagabend die ersten Böller detoniert sind. Musste an Paris denken, da war ich auch live vorm Bildschirm. Ich dachte: Man, diese Idioten! Wat soll die Scheiße?! Und ich musste daran denken, wie ich immer genervt bin, wenn ich am Stadion wegen der mitunter peinlich-peniblen Kontrollen ewig warten muss. Kann mir gut vorstellen, wo und wie man die Knallfrösche am besten an den Ordnern vorbeischmuggelt, so genau gucken die dann doch nicht nach. Beim nächsten Mal werden sie sich eben noch etwas tiefer bücken müssen, um die Beine bis zum Boden abzutasten. Mütze abnehmen, gerne, danke, dann viel Spaß. Und dann dachte ich noch, wenn Hertha jetzt ein Gegentor kassiert, dann seid ihr Fotzen Schuld!! Dann gnade euch der Fußballgott, ihr verfluchten Kackpenner, fresst eure eigene Kotze und habt wochenlang Dünnschiss, Mistpack, elendiges!!! Tschuldigung, aber das musste mal raus.
Es ist ja stets die leichteste Übung, nach härteren Strafen und drakonischen Maßnahmen zu rufen, ich bin da leider auch anfällig für. Und es wirkt immer ein wenig hilflos oder sorgt für genervtes Augenrollen, wenn man zu bedenken gibt, dass die Ursachen für derlei Exzesse womöglich tiefer liegen. Aber, oh Wunder: Tatsächlich wurde hernach von verschiedenen Seiten geäußert, dass für diese Gewalt- und/oder Abenteuerlust sicher auch gesellschaftliche Gründe vorliegen. Das ist erstmal sehr vage formuliert, aber es zeigt immerhin, dass man sich nicht nur mit einfachen Antworten zufrieden geben will. Wobei zu befürchten ist, dass die Ereignisse beim letzten Spiel der ersten Runde des DFB-Pokals im Rostocker Ostseestadion für eine gesamtgesellschaftliche Debatte auf Dauer doch nicht relevant genug sind. Wie auch, das hat ja nichtmal das G20-Spektakel in HH geschafft.
Vermutlich wird es darauf hinauslaufen, dass Hertha eine Strafe zahlen wird, vermutlich nicht ganz in Neymar-Ablöse-Dimensionen, schon klar, aber empfindlich, was immer das heißen mag. Eventuell muss die Alte das nächste Pokal-Auswärtsspiel (was sonst) auch ohne Fans bestreiten. Und es wird dann auch nicht im Fernsehen gezeigt. Oder gerade deshalb? Wir werden sehen (oder auch nicht). Für Hansa dürfte es garantiert dicker kommen, die waren ja sozusagen vorbestraft. Und die haben weit weniger Kohle zur Verfügung. Arme Ossi-Schweine.
Nach Verkündung und Vollstreckung der Urteile werden sich DFB, DFL, sonstige Berufene sowie weitere Autoritäten großmütig zeigen und die bescheidene Hoffnung äußern, nun möge doch wohl hoffentlich ein Umdenken einsetzen. Ihr wisst sicher schon jetzt, wer dann nicht gemeint ist.