Vier Punkte aus den letzten drei Spielen, da hätte man nicht meckern müssen. Wenn nur die Reihenfolge des Einsammelns gestimmt hätte. Sagen wir mal so: Nullfünf gegen Borussia Dortmund, okay, die spielen immerhin Champions League und sind ligamässig eh total unterbewertet. In Frankfurt Viervier, aber bitteschön nach Nulldrei- und Zweivier-Rückstand, da hätte man Moral und Kämpferqualitäten unserer Truppe lobpreisen können. Zum Abschluss dann ein hart erkämpfter Einsnull-Sieg gegen Hoffenheim – und der Weihnachtsfrieden von 2014 wäre nahezu perfekt gewesen.
Nu isses anders gekommen. Oder, um es mit Ossi zu sagen: Dumm jeloofen. Mit Ossi meine ich nicht unsere Brüder und Schwestern aus der Ex-DDR, sondern einen mir bis dato unbekannten Westberliner Vierschröter. Ossi ist ein altgedienter Herthaner, den ich nach dem letzen Spiel in der Westend-Klause kennenzulernen die Ehre hatte. Ossis hervorstechendstes Merkmal ist seine durch ungezählte Saisons hindurch gestählte (oder gequälte) Reibeisenstimme. Dezent ausgedrückt. Denn bei Ossis Stimme weiß man nie, wird sie gerade erhoben, schreit oder flüstert sie. Sicher ist nur: Ossis Timbre steht in einer Reihe mit Joe Cocker, dem Blumenhändler vom Winterfeldtmarkt und den Trompeten von Jericho.
Die uns zugeteilte Kellnerin in der Westend-Klause hat Old Ossi denn auch des Öfteren ermahnen müssen, hin und wieder wenigstens mal die Luft anzuhalten. Angesichts des nach Herthaspielen ohnehin markanten Kneipen-Geräuschpegels ein durchaus bemerkenswerter Vorgang. Mich hats nicht weiter gestört, was daran lag, dass Ossi nicht zu denjenigen gehört, die ewig und drei Tage über diese oder jene Unzulänglichkeit unserer Hertha lamentieren. Ossi nimmt’s wie’s kommt, er weiß, dass er trotz Megaphonstimme nix oder zumindest nicht viel dran ändern kann. Weil Ossi außer Bier auch gerne Knoblauch isst, habe ich ihn flugs zu meinem Bruder im Geiste ernannt. Amen.
Witzig war auch Folgendes: Während unserer Schnackrunde habe ich ein Foto von Ossi und Vizeprädidentin Hermann via Instagram (Account egmonte) ins weltweite Netz geschickt. Prompt kam eine Nachricht von meinem Instagram-Follower sebi_ber: „Klein ist die Hertha- und Instagramwelt. Sitzt eine Reihe hinter mir in Block 32.1. Der Blocknachbar grüßt!“
Soviel dazu. Während Ossi und ich also voller Zuversicht ins neue Jahr blicken, ist Vergleichbares von der bezahlten Herthaschreiberzunft nicht unbedingt zu erwarten. Vor allem vom Tagesspitzel nicht. Der scheint mit Macht in jene Lücke stoßen zu wollen, die die jute alte Bezett nach dem Lolita-Debakel hinterlassen hat. Während sich letztere fast schon beängstigend zahm gibt, lästert das soeben als Zeitung des Jahres gekürte Eliteblatt, als gäbe es im Leben keine Rückrunde. Das ist mir schon nach dem Dortmundspiel bitter aufgestoßen, als der verantwortliche Redakteur vor Ort die schlechteste erste Halbzeit seit Äonen verfolgt haben will. Ich kann nur vermuten, dass er sauer war, weil er seinen hastig vorbereiteten Text nach Herthas grundsolider Vorstellung in die Tonne kloppen musste.
Aber ach, ich vergaß, beim Tagesspiegelchen ist man natürlich der kritischen Sicht verpflichtet. Rerum cognoscere causas, Altlateiner kennen das ehrwürdige Motto, welches den verstaubten Titel seit Jahr und Tag ziert. Da gehört es sich nicht, die Dinge nur oberflächlich zu betrachten, nur Tabellenstand und nackte Ergebnisse zu beurteilen. Da müssen schon dickere Bretter gebohrt werden, um das großformatige Papier hirngreifend befüllen zu können. Nur immer weiter so und bloß keine Asche aufs Haupt streuen, liebe Kollegen!
Hier, auf meiner Domain, unterliege ich glücklicherweise keinem Kritikzwang. Kein Chefredakteur oder Ressortleiter sitzt mir im Nacken und diktiert, was zu geschehen habe. Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein (Goethe, der Mann fand immer die richtigen Worte, genau wie Frau Dr. Erika Fuchs, übrigens). Frohe Weihnachten.